Gut besuchte Info-Versammlung
Erste Fakten zu einer möglichen Ortsumgehung
Ein Problem will die Gemeinde Senden beim Thema Ortsumgehung Ottmarsbocholt unbedingt umgehen: dass die Gerüchteküche brodelt, Halbwahrheiten beschleunigt Fahrt aufnehmen und Gräben sich vertiefen. Denn ob das große Verkehrsvorhaben kommen sollte und wie die jeweiligen Begleiterscheinungen zu bewerten sind - das ist in dem Ortsteil umstritten. Deshalb hatte die Kommune gemeinsam mit Kreis und Vertretern von Fachbüros am Mittwoch zur Info-Versammlung in die Sporthalle eingeladen. Unter den rund 150 Gästen ging es sportlich fair, nämlich sachlich, zu, wie Bürgermeister Sebastian Täger in seinem Fazit als typisch für Otti-Botti herausstellte.
Carsten Busche, Fachbereichsleiter Planen, Bauen, Umwelt der Gemeinde Senden, ließ die Etappen des bisherigen Planungsprozesses Revue passieren. Zur über 20-jährigen „bewegten Historie“ des Projektes gehört, dass es vom Land auch wegen eines damals als hoch bewerteten Kosten-Nutzen-Effektes als prioritär eingestuft, 2011 aber als „nachrangig“ einsortiert worden ist. Was auch mit wechselnden Mehrheiten in Düsseldorf zusammenfiel. 2017, nach einer Visite von Hendrik Wüst als Landesverkehrsminister, startete die zweite Runde, die von der CDU maßgeblich vorangetrieben wird. 2019 verabredeten Landesbetrieb, Kreis und Kommune, dass Coesfeld die Planung federführend übernimmt, an deren Personalkosten sich die Gemeinde Senden beteiligt, worüber 2020 eine Vereinbarung getroffen wurde. Dieser Vertrag soll zum 31.12.2023 gekündigt werden, beantragte das aus Grünen, SPD, UWG und FDP bestehende Bündnis für Senden. Ob der Antrag so Bestand hat und wie er beschieden wird, das soll sich am 14. Juni im Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderates klären. Dort steht auch ein Antrag der „Bürgerinitiative Pro Ortsumgehung“ auf der Tagesordnung, der darauf zielt, das Verkehrsvorhaben voranzutreiben, weil die Anwohner der Durchgangsstraße in Ottmarsbocholt „unter den zunehmenden, extremen Verkehrsbelastungen leiden“, wie es im BI-Antrag heißt.
Dass ein parlamentarisches Votum in Senden auch Nachhall in Coesfeld und Düsseldorf hat, daran ließ Klaus Dammers, Leiter der Straßenbauabteilung des Kreises, in der Info-Versammlung keinen Zweifel: Wenn der politische Wille vor Ort nicht mehr gegeben sei, „dann wird der Landesbetrieb nicht weiter planen“.
Dabei sind auf diesem langen Weg schon einige Meter gemacht worden, wie Katja Hoffacker und Andreas Gers vom Büro Froelich und Sporbeck veranschaulichten, die den Stand bei der Umweltverträglichkeitsprüfung schilderten. Sie sind bereits in die Prüfung eingestiegen, wo das Vorhaben auf welchen Grad an Widerständen stößt, die durch schützenswerte Belange wie Natur, Mensch und Kulturraum ausgelöst werden. Als kritischen Punkt bezeichnete Hoffacker die Davert. Tendenziell weniger Konflikte würde eine Trassen verursachen, die im südlichen Bereich von Ottmarsbocholt verläuft, so Hoffacker als Antwort auf eine Frage aus dem Publikum. Den erforderlichen Abstand zur geschlossenen Besiedlung bezifferte Gers auf mindestens 200, lieber 500 Meter.
Dass alle geprüften Varianten spürbare Entlastungen für den Ortskern erbrächten, lautete ein Fazit von Verkehrsplaner Dr. Frank Weiser vom Büro Brilon, Bondzio, Weiser. Er gab nach vorläufiger Bewertung der Variante 2 den Vorzug, die auch innerhalb der ersten Planungsdekade favorisiert worden war. Dabei würde etwas mehr als ein Halbkreis von der Nordkirchener Straße westlich um Ottmarsbocholt bis zur Venner Straße geschlagen, wobei teils „alte Trassen relativ leicht reaktivierbar wären“, sagte Weiser. Für den Verkehrsexperten stünden „Funktionalität und Baubarkeit“ in diesem Falle in einem sehr guten Verhältnis.
Die Verkehrsbelastung auf der Dorfstraße liegt nach seinen Angaben bei 7750 Fahrzeugen am Tag (Stand 2022). Bis 2030 soll der Verkehr in Ottmarsbocholts Ortsdurchfahrt unterm Strich auf 9200 Fahrzeuge täglich steigen. Der Zuwachs des überörtlichen Verkehrs wird in dieser Prognose inzwischen als geringer veranschlagt als in älteren Hochrechnungen, räumte der Experte ein. Bei der Variante 2 würde die Umfahrung eine Entlastung von bis zu 4450 Fahrzeugen täglich erbringen.
Die Dorfstraße, bisher eine Landesstraße, könnte wieder in die Hoheit der Gemeinde zurückfallen und dann so gestaltet werden, dass das Autofahren unattraktiver, das Verweilen aber angenehmer würde, bestätigte das Podium auf Fragen eines Zuhörers. Dadurch könnten Entlastungswirkungen gegebenenfalls noch erhöht werden, so Weiser.
Dem stehen, das machte die Diskussion deutlich, erhebliche Kosten und vor allem Eingriffe gegenüber. Anwohner des Außenbereichs fürchten, dass plötzlich eine stark frequentierte Straße über ihr Grundstück verlaufen oder es streifen könnte. Ein Landwirt empörte sich, dass bei der Abwägung der Raumwiderstände ein Naturschutzgebiet höher bewertet werde als wertvolle landwirtschaftliche Fläche: „Das kann einfach nicht sein.“ Andere Instrumente, um den Verkehr im Herzen von Ottmarsbocholt zu verringern, müssten als Alternative gesucht und umgesetzt werden, lautete eine weitere Forderung, die erhoben wurde.